Publikationen - Rezensionen zu
Bildung und Migration - Zeynep Elibol


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Zeynep Elibol: Die sozialen und Bildungsprobleme der türkischen Frauen und Mädchen in Österreich (zweite Generation), im Vergleich zu Deutschland und der Türkei.
Diplomarbeit, Universität Wien 1999. 109 Seiten

Insgesamt bietet diese Arbeit einen Überblick über Grundbegriffe der Debatte um Minderheiten im Schulsystem, über soziokulturelle Hintergründe türkischer Familien in der Migration sowie über das türkische Bildungssystem unter besonderer Berücksichtigung der Situation von Mädchen und Frauen. Kernpunkt der Argumentation der Autorin ist, dass die Probleme türkischer Mädchen vor allem durch soziokulturellen Faktoren begründet seien, die man vom Islam als Religion unterscheiden müsse. Das ist zwar interessant, greift aber insofern zu kurz, als dass es keine neuen Antworten auf die Probleme im schulischen Umfeld bietet, da meines Erachtens Diskriminierung eben nicht nur mit aufzuklärenden Missverständnissen zu tun hat. Tiefer gehende Dimensionen von Diskriminierung und Ausschließungsmechanismen spricht die Arbeit zwar an, verfehlt jedoch, sie zur Grundlage von neuen Lösungsansätzen zu machen. Dennoch lassen sich einige nützliche Informationen in Bezug auf das Schulsystem und grundsätzliche Haltungen des Islam in Bezug auf Genderfragen finden. Allerdings würde ich mir etwas mehr Differenzierung in Hinblick darauf wünschen, dass der Islam ebensowenig als einheitliche Gruppe zu begreifen ist, wie man das Christentum als einheitlich beschreiben kann.

In ihrer allgemeinen Begriffserklärung geht die Autorin auch auf die Begriffe Identität, Integration und Multikulturalismus ein. Vor allem in Bezug auf Integration betont sie meines Erachtens zu stark die Anpassungsleistungen, die von MigrantInnen verlangt werden, während sie den Punkt vernachlässigt, dass auch die "aufnehmende Gesellschaft" ihr Selbstbild in Frage stellen und bereit sein muss, etwas zu verändern, um Integration zu gewährleisten. Die Autorin führt Bildungsprobleme von Migrantinnen zweiter Generation hauptsächlich auf die mitgebrachten Bildungsdefizite der ersten Generation, den hohen Erwerbsdruck, die geschlechtsspezifischen Doppelbelastungen von Mädchen und die beengten Wohnverhältnisse zurück.

Es ist der Autorin wichtig, in ihrer Darstellung der Familienstrukturen und der Situation von Frauen und Mädchen, darauf hinzuweisen, dass der Islam emanzipatorische Möglichkeiten für junge Frauen bietet - sie bezieht sich dabei auf einen idealen Islam, den man getrennt von der (unvollkommenen) sozialen Praxis betrachten muss. So führt sie die Verbesserungen in rechtlicher Hinsicht für die Frauen zur Gründungszeit des Islam an und verschiedene Koranstellen, die die Gleichheit von Mann und Frau betonen.

Weiters liefert die Autorin eine Darstellung des türkischen Schulsystems und der Angebote für Migrantinnen zweiter Generation im österreichischen Schulsystem. Positiv hebt sie den Muttersprachenunterricht hervor, der zum Erwerb einer Zweitsprache unumgänglich ist. Ich möchte diesen Punkt hervorstreichen, da es auf diesem Gebiet starke Expertise dafür gibt, dass Kinder ihre Muttersprache so elaboriert wie möglicher erlernen sollten, um nicht in die sogenannte Halbsprachigkeit zu verfallen, in der zwei Sprachen auf unvollkommenem Niveau beherrscht werden. LehrerInnen und Eltern greifen aber oft zu Strategien, die den Gebrauch der Muttersprache einschränken, weil sie dem Missverständnis unterliegen, dass die Zweitsprache so schneller erlernt werde.

Als weitere Angebote im österreichischen Schulsystem führt die Autorin den islamischen Religionsunterricht, getrennten Schwimmunterricht für muslimische Mädchen und das multikulturelle Lernen, das zum Unterrichtsprinzip erhoben wurde, an. Sie kritisiert allerdings die klischeehafte und abwertende Darstellung des Islam in österreichischen Schulbüchern. Einen Vergleich mit Deutschland stellt sie in Hinblick auf den unterschiedlichen Umgang mit dem islamischen Religionsunterricht an.

Als Fazit würde ich sagen, dass dieses Buch eine Darstellung von Problemen von türkischen Migrantinnen zweiter Generation im Schulsystem bietet, die für einen ersten Überblick und Einstieg in das Thema geeignet ist, dass aber Lösungen nur in Hinsicht auf eine bessere Information über die Religion des Islam angeboten werden. Tiefer liegende Probleme, Konflikte und sich überschneidende Systeme der Diskriminierung verschiedener Gesellschaften werden zwar angesprochen, aber nicht in Hinblick auf Lösungsansätze diskutiert.

Über die Autorin:
Zeynep Elibol wurde in der Türkei geboren, besuchte die Schule in Deutschland und in der Türkei. Ihr Studium der Physik, Pädagogik und Politikwissenschaft absolvierte sie teilweise in der Türkei, teilweise in Österreich. Sie arbeitete als islamische Religionslehrerin in verschiedenen Schulen Wiens und engagierte sich im Bereich interkultureller und interreligiöser Verständigungsarbeit.

Weiterführende Literatur:
Rudolf De Cilia: Spracherwerb in der Migration. In: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.): Informationsblätter des Referats für interkulturelles Lernen. Nr. 3/2001

Patrik Volf, Rainer Bauböck: Wege zur Integration. Was man gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit tun kann. Drava Verlag, Klagenfurt 2001

Monika Höglinger: Verschleierte Lebenswelten. Zur Bedeutung des Kopftuches für muslimische Frauen. Edition Rösner, Maria Enzersdorf 2002

Zur Rezensentin:
Katrin Oberhofer studiert Ethnologie, Philosophie und ist Absolventin des Studiums Integrale am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. Spezialisierung während des Studiums auf den Bereich Ethnologie und Schule, sowie Mitarbeit beim Verein KuKele, der ethnologisches Wissen an Schulen vermittelt.


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